Über das Dossier
Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Zahl der Geflüchteten weltweit die 50 Millionen überschritten. Nur ein kleiner Teil dieser Menschen kommt auf der Suche nach Schutz überhaupt bis nach Europa. Vor drei Jahren haben wir uns mit dem Dossier „Grenz- statt Menschenschutz? Asyl- und Flüchtlingspolitik in Europa“ den Folgen der EU-Abschottungspolitik gegenüber Asylsuchenden gewidmet. Auf der Suche nach Schutz sterben immer wieder Menschen, weil sie gefährliche Fluchtrouten nach Europa wie die über das Mittelmeer nutzen müssen. Journalist_innen internationaler Medien haben mit dem Datenprojekt „The migrant files“ dokumentiert, dass seit dem Jahr 2000 rund 25.000 Menschen bei ihrer Flucht nach Europa gestorben sind. Nahezu täglich gibt es neue Meldungen über weitere Opfer, die die Abschottungspolitik der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten produziert.
Mit dem Dossier „Welcome to Germany II“ betrachten wir die exklusiven Seiten der Willkommenskultur in Deutschland. Legen wir den Fokus der Dossier-Reihe „Migration – Arbeit – Menschenrechte“ an das Thema „Flucht und Asyl“ an, dann lässt sich schnell sehen: Geflüchtete werden in Deutschland systematisch von der Teilhabe an der Gesellschaft und einem normalen Leben ausgeschlossen. Unabhängig von der Qualifikation, unterliegen sie einem verzweigten Arbeitsverbot. Ihre Bewegungsfreiheit wird bislang durch die in Europa einmalige Residenzpflicht eingeschränkt. Viele müssen über Jahre in isolierten und völlig ungeeigneten Sammelunterkünften leben. Seit mehr als zwei Jahren protestieren Geflüchtete selbst immer lauter gegen dieses menschenunwürdige Leben. Wer ihnen vorwirft, dem Staat auf der Tasche zu liegen, blendet aus, dass eben die Gesetze in Deutschland sie zu einem untätigen und abhängigen Leben zwingen.
Der sogenannte Asylkompromiss von 1993 hat das Asylrecht in Deutschland massiv eingeschränkt, die Zahl der Asylsuchenden ging zurück. Dem voraus ging eine Stimmungsmache gegen Geflüchtete, die sich auch in gewalttätigen Angriffen auf Flüchtlingsheime entlud und immer wieder entlädt. Das Schlagwort vom „Asylmissbrauch“ machte die Runde.
Mehr als zwanzig Jahre danach führen Kriege und bewaffnete Konflikte weltweit dazu, dass inzwischen auch in Deutschland die Flüchtlingszahlen wieder steigen. Erneut steht das Thema Asyl auf der politischen Agenda. Mit der aktuellen Entscheidung im Bundesrat wurden Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzigowina zu sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt und damit das Asylrecht weiter eingeschränkt. Schutzsuchende aus diesen Ländern sind häufig Roma. Auch wenn deren Lage in internationalen Berichten und von internationalen Organisationen als besonders gefährdet bezeichnet wird, wird in Deutschland das Bild geschürt, diese Menschen seien „nur Wirtschaftsflüchtlinge“. Gruppen von Schutzsuchenden werden gegeneinander ausgespielt.
Besonders rechte Parteien und Akteur_innen nutzen das Thema 'Flucht und Asyl' seit einiger Zeit, um Stimmung gegen Geflüchtete zu machen. Die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte haben sich von 2012 auf 2013 mehr als verdoppelt.
Anders als Anfang der 90er Jahre haben sich bundesweit lokale Willkommensinitiativen gebildet – Engagierte vor Ort wollen Geflüchteten im Alltag helfen, ein Zeichen gegen rassistische und rechte Stimmungsmache setzen. Es entstehen zivilgesellschaftliche Netzwerke, zum Teil unterstützt von der Kommunalpolitik. Diese Initiativen stoßen ebenso wie die Proteste der Geflüchteten selbst an die Grenzen, die durch die Gesetzgebung vorgegeben werden. Von einer bundesdeutschen Willkommenskultur für Geflüchtete kann momentan nicht die Rede sein.
Das Dossier möchte auch rassistische Praktiken und Stereotype thematisieren, die bestimmte Gruppen in Deutschland und Europa immer wieder zu „Fremden“ machen – auch wenn sie einen deutschen oder europäischen Pass haben, schon lange, zum Teil jahrhundertelang, hier leben.
Die polizeiliche Praxis anlassloser Personenkontrollen (Racial Profiling) auf Grunde äußerer Merkmale ist ein Beispiel. Sie trifft Schwarze Deutsche, People of Colour und Migrant_innen gleichermaßen.
Ein anderes ist der Umgang mit Roma und Sinti. Momentan stehen Roma aus Südosteuropa im Fokus asylrechtlicher Debatten. Eine neue Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt, wie weit die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma in der deutschen Bevölkerung verbreitet sind. Auch viele Medienberichte bedienen sich alter rassistischer Stereotype und Szenarien, stellen Sachverhalte trotz anderer Faktenlage falsch dar. Wissen über Roma und Sinti, die seit Jahrhunderten in Europa und in Deutschland zuhause und in sich völlig heterogene Gruppen sind, wird aber kaum vermittelt.
Bei den aktuellen asylrechtlichen Debatten gerät in der Öffentlichkeit eines oft völlig aus dem Blick: Es gibt in Deutschland noch ein Grundrecht auf Asyl, so sieht es unsere Verfassung vor. Jeder Mensch hat das Recht auf eine faire Prüfung der eigenen Schutzbedürftigkeit. Dazu hat sich Deutschland in europäischen und internationalen Konventionen verpflichtet.
Das Dossier möchte dazu anregen sich selbstkritisch mit dem „Willkommen sein“ in Deutschland und Europa auseinander zu setzen und das Teilhaben zu mehr als einem politischen Schlagwort zu machen.